Die Modebranche steht vor einer stillen Revolution. Immer mehr Unternehmen setzen auf sogenannte digitale Zwillinge – virtuelle Abbilder realer Models, erschaffen durch Künstliche Intelligenz (KI) und 3D-Technologien. Was auf den ersten Blick nach einer Spielerei für Marketing-Abteilungen klingt, hat erhebliche Implikationen für Kostenstrukturen, Geschäftsmodelle und Bilanzrisiken. Zwischen Effizienzpotenzialen und Reputationsrisiken stellen sich Controller, Finanzchefs und Investoren die Frage: Lohnen sich digitale Models – oder gefährden sie womöglich mehr, als sie sparen?

Was sind digitale Zwillinge in der Mode?
Ursprünglich aus der Industrie und dem Bauwesen stammend, hat das Konzept des digitalen Zwillings mittlerweile auch die Modewelt erobert. Digitale Zwillinge im Modekontext sind virtuelle Kopien real existierender Menschen – meist Models –, die detailgetreu in 3D nachgebildet werden. Mithilfe von KI können diese Avatare anschließend in beliebige Posen gebracht, virtuell eingekleidet und in jede Umgebung gesetzt werden. Anbieter versprechen, dass solche Avatare „rund um die Uhr“ für Kampagnen zur Verfügung stehen – ganz ohne Reisekosten, Studio-Mieten oder aufwendige Logistik.
Ein prominentes Beispiel: Shudu, das weltweit bekannte virtuelle Supermodel, das inzwischen über mehrere Hunderttausend Follower in sozialen Medien verfügt. Für Marken bietet ein solcher Avatar die Chance, Markenbotschaften gezielt und skalierbar zu platzieren – ohne die Unwägbarkeiten menschlicher Stars wie Terminprobleme oder Imageskandale.
Kostenersparnis und Effizienzgewinne
H&M testet aktuell den Einsatz digitaler Models für seine Online-Shops. Die Motive dieser Entwicklung sind vor allem betriebswirtschaftlicher Natur:
- Reduktion von Produktionskosten: Fotoshootings kosten Zeit und Geld. Reise- und Aufenthaltskosten, Stylisten, Fotografen, Postproduktion – all das summiert sich schnell. Virtuelle Models eliminieren viele dieser Kostenpunkte.
- Time-to-Market: Kollektionen können schneller digital visualisiert und ins Web gestellt werden, ohne dass physische Musterstücke oder reale Shootings nötig sind. Das beschleunigt die Vermarktung und ermöglicht flexiblere Reaktionen auf Trends.
- Nachhaltigkeit = Kostenvorteil: Weniger Transport, weniger Produktion, weniger Ressourcenverbrauch – digitale Zwillinge zahlen auf Nachhaltigkeitsziele ein, die zunehmend auch finanzielle Bedeutung haben, etwa bei ESG-Ratings und Investorenbewertungen.
Analysten gehen davon aus, dass sich bei großen Modeunternehmen Einsparungen im hohen sechs- bis siebenstelligen Bereich ergeben könnten – pro Jahr.
Investitionen und neue Kostenblöcke
Doch die Technologie hat ihren Preis. Digitale Zwillinge entstehen nicht kostenlos:
- Initialkosten: Für 3D-Scans, Software-Lizenzen, Rechteklärung und Programmierung fallen teils sechsstellige Summen an. Gerade kleine Labels dürften hier zurückhaltender agieren.
- Laufende Kosten: Pflege der digitalen Avatare, Updates der Software und die Rechteverwaltung können ebenfalls Kosten verursachen, die sich Controller genau ansehen müssen.
Im Fall von H&M wird laut Medienberichten die Entwicklung teilweise ausgelagert, um Skaleneffekte zu nutzen. Branchenexperten gehen davon aus, dass sich Investitionen erst bei hoher Nutzung rentieren.
Finanzielle Risiken: Reputationsschäden und Rechtsstreitigkeiten
Neben den Chancen lauern finanzielle Risiken:
- Reputationsrisiken: Virtuelle Models könnten – wie Influencer – Skandale oder Shitstorms auslösen, etwa durch unrealistische Schönheitsideale oder den Vorwurf, die Branche noch künstlicher zu machen. So kritisiert die Frankfurter Rundschau, dass digitale Models wie Shudu teils „so falsch“ wirken, dass Konsumenten sich betrogen fühlen. Ein Imageschaden kann sich schnell auch in Umsatzeinbußen niederschlagen.
- Rechtsrisiken: Wem gehören die Bildrechte eines Avatars? Was passiert, wenn ein digitaler Zwilling ohne Zustimmung in Kampagnen genutzt wird? Hier drohen teure Rechtsstreitigkeiten, gerade in einem globalen Geschäftsumfeld mit unterschiedlichen Datenschutz- und Persönlichkeitsrechten.
Auswirkungen auf Jobs und Kostenstrukturen
Virtuelle Models verändern auch die Kostenstrukturen in Modeunternehmen. Klassische Budgets für Fotografie, Logistik und Produktion könnten sinken, während Investitionen in digitale Teams, Software und Asset-Management steigen.
Gleichzeitig geraten klassische Berufsgruppen wie Fotografen, Visagisten oder Stylisten unter Druck. Zwar werden sie nicht komplett ersetzt – gerade bei Luxusmarken bleibt der „echte“ Look gefragt – doch die Nachfrage könnte sinken, was mittel- bis langfristig Arbeitsplätze kosten kann. Das Thema dürfte also nicht nur in Modeunternehmen, sondern auch in Gewerkschaften und politischen Debatten an Brisanz gewinnen.
Strategische Implikationen
Ob digitale Zwillinge zum neuen Standard werden, hängt von mehreren Faktoren ab. Entscheidend ist zunächst die Akzeptanz der Kunden, denn Konsumenten müssen die virtuellen Avatare als glaubwürdig und authentisch wahrnehmen. Jeder Imageskandal oder der Eindruck von Täuschung könnte das Vertrauen nachhaltig beschädigen. Auch regulatorische Entwicklungen spielen eine wichtige Rolle: Gesetzgeber könnten strengere Vorgaben zur Kennzeichnung virtueller Inhalte einführen, um Verbraucher vor Irreführung zu schützen. Solche Maßnahmen könnten für Unternehmen zusätzliche Compliance-Kosten verursachen. Nicht zuletzt stellt sich die Frage nach der Markenstrategie. Unternehmen müssen sorgfältig abwägen, wie viel Echtheit ihre Marke vermitteln soll, denn digitale Zwillinge bieten zwar enorme Skalierbarkeit, wirken aber möglicherweise weniger authentisch und könnten das Markenimage beeinflussen.
Balanceakt für die Modebranche: Kosten sparen oder Vertrauen verspielen?
Digitale Zwillinge in der Modebranche bieten erhebliche Potenziale zur Kostenreduktion und Prozessbeschleunigung. Gleichzeitig drohen neue Investitionsbedarfe, Reputationsrisiken und regulatorische Unsicherheiten. Für Finance- und Controlling-Abteilungen wird die Frage lauten: Rechnen sich die kurzfristigen Einsparungen langfristig – oder werden virtuelle Models zur teuren Mode-Episode?
Was bleibt, ist ein Drahtseilakt zwischen Innovation und Risiko. Und der beginnt längst nicht mehr nur auf dem Laufsteg – sondern in der Bilanz.