Makelloser Teint, perfektes Licht, stilvolle Kleidung – und das ganz ohne Fotostudio. Immer mehr Bewerber*innen greifen zu KI-Tools, um professionelle Porträts für ihren Lebenslauf zu generieren. Was einst ein Gang zum Fotografen war, übernimmt nun ein Algorithmus in Sekunden. Doch wie authentisch ist ein Bewerbungsfoto, das mit der Realität wenig gemein hat? Und was bedeutet das für die Chancengleichheit in der Arbeitswelt?

Bewerbungsfotos aus dem KI-Tool – Fortschritt oder Filterblase?
Sie kosten oft weniger als ein klassisches Porträt beim Fotografen, sind in wenigen Minuten erstellt und versprechen einen professionellen Look: KI-generierte Bewerbungsfotos erleben derzeit einen Boom. Tools wie Remini oder Try it on bieten die Möglichkeit, aus einem Selfie ein makelloses Businessbild zu erzeugen. Doch was auf den ersten Blick nach praktischer Digitalisierung klingt, wirft auch ethische, soziale und technische Fragen auf.
Digitale Perfektion aus der App
Die Technologie dahinter ist eine Kombination aus Bildbearbeitung, Deep Learning und generativer KI. Nutzer*innen laden mehrere Selfies hoch, die Software analysiert Gesichtszüge, Pose und Lichtverhältnisse – und generiert daraus ein neues Bild im Stil eines Studio-Shootings. Innerhalb weniger Minuten entsteht ein Porträtbild, das häufig besser ausgeleuchtet, professioneller und in manchen Fällen sogar vorteilhafter wirkt als die Realität.
Für viele ist das ein Segen: Menschen mit begrenztem Budget oder ohne Zugang zu professionellen Fotostudios bekommen so eine neue Möglichkeit, sich visuell ansprechend zu präsentieren – und das jederzeit, ohne Terminvereinbarung.
Remini vs. Try it on AI: Zwei Tools im Vergleich
Zwei besonders populäre KI-Tools für Bewerbungsfotos sind Remini und Try it on AI. Beide bieten unterschiedliche Funktionen und adressieren verschiedene Zielgruppen:
Remini punktet mit schneller Bearbeitung und einfacher Nutzung über das Smartphone. Die App verbessert bestehende Selfies und bietet diverse Filter. Allerdings zeigen sich bei Ganzkörperaufnahmen häufig Bildfehler – etwa bei Händen – und viele Features sind nur im teuren Abo nutzbar. Zudem bestehen Datenschutzbedenken hinsichtlich der Bildspeicherung auf Unternehmensservern.
Try it on AI bietet hingegen hochqualitative Porträts und eine große Bildauswahl – oft über 100 Varianten. Der Dienst kostet rund 17 Dollar und ist damit vergleichsweise günstig. Die Bearbeitungsdauer beträgt jedoch bis zu 72 Stunden, und die Ergebnisse variieren stark – insbesondere bei Brillen, Frisuren oder untypischen Gesichtszügen. Auch hier sollte genau auf die Datenschutzrichtlinien geachtet werden.
Zwischen Selbstoptimierung und Scheinrealität
Doch genau hier beginnt die Debatte. Kritiker*innen befürchten, dass durch die idealisierte Darstellung eine neue Art der Selbstdarstellung entsteht, die mit der Realität wenig gemein hat. Wenn Bewerbungsbilder kaum noch authentisch, sondern algorithmisch optimiert sind – wie ehrlich ist dann der erste Eindruck?
„Das Bild wird Teil einer Erzählung, die möglicherweise nicht zur Realität passt“, sagt die Ethikerin und KI-Expertin Dr. Lena Frey. „Im Bewerbungsprozess zählt Authentizität – wenn Bilder Erwartungen erzeugen, die im Vorstellungsgespräch enttäuscht werden, kann das problematisch werden.“
Diskriminierung durch Technik?
Ein weiterer Kritikpunkt ist der sogenannte algorithmische Bias: Viele Tools wurden mit Trainingsdaten westlicher Schönheitsideale gefüttert – und optimieren automatisch in diese Richtung. Gesichtszüge werden symmetrischer, Hauttöne aufgehellt, Kleidung „verwestlicht“. Menschen mit sichtbaren Behinderungen, alternativen Modestilen oder nicht-weißer Hautfarbe berichten von Entfremdungserlebnissen.
Auch der Datenschutz ist ein Thema: Was passiert mit den hochgeladenen Bildern? Werden sie gespeichert, weiterverarbeitet, womöglich für das Training weiterer Modelle genutzt? Viele Anbieter lassen hier Transparenz vermissen.
Chancen fĂĽr Bildung und Chancengleichheit
Trotz aller Kritik sehen Expertinnen auch Potenzial. Gerade in Bildungs- und Bewerbungssituationen, in denen Menschen auf Unterstützung angewiesen sind, kann ein hochwertiges KI-Foto Hemmschwellen abbauen. Es kann Teil einer Bewerbungshilfe sein – etwa für Schulabgängerinnen, die sich auf Praktika bewerben, oder für Menschen mit Migrationsgeschichte, die auf professionelle Mittel verzichten mussten.
„Visuelle Gleichstellung ist ein Aspekt von digitaler Teilhabe“, sagt Karriere-Coach Marco Reinhardt. „Wenn die Technik fair und inklusiv gestaltet ist, kann sie Barrieren abbauen, nicht verstärken.“
Eine neue Bewerbungskultur?
Ob KI-Fotos den klassischen Fotografen ersetzen werden, ist offen. Klar ist: Die visuelle Bewerbungskultur wandelt sich. Schon heute verzichten manche Unternehmen ganz auf Bewerbungsbilder, andere setzen auf informellere Darstellungen etwa ĂĽber Videobewerbungen. Doch solange Bilder Teil des Auswahlprozesses sind, bleibt die Frage: Welche Standards wollen wir gelten lassen?
Vielleicht geht es künftig nicht um die perfekte Aufnahme – sondern um einen offenen Umgang mit digitalen Mitteln. Tools wie Remini könnten dann nicht länger Schönheitsfilter, sondern Werkzeuge zur Selbstermächtigung sein. Wenn sie verantwortungsvoll eingesetzt werden.
KI-generierte Bewerbungsfotos sind ein Beispiel für die Ambivalenz technologischen Fortschritts: Sie bieten neuen Zugang, bergen aber Risiken. Die HR-Welt muss sich nun fragen: Wie viel KI verträgt Authentizität – und wie gestalten wir Bewerbungsprozesse fairer.